Das unterschätzte Dilemma, wenn man einen Experten sucht

Unternehmen holen sich Experten (w/m) als Berater ins Haus, damit sie sie in Spezialprojekten unterstützen oder ihr Wissen teilen und weitergeben. (Es gibt auch andere Fälle, z. B. wenn Experten geholt werden, um eigene Entscheidungen zu stützen, zu legitimieren bzw. durchzusetzen, aber um die geht es hier und heute nicht.)

Wenn man einen Experten sucht, weil man sein Fachwissen benötigt, stellt sich immer ein bestimmtes Problem: Man soll die Fähigkeiten eines Spezialisten beurteilen, obwohl man ihn doch braucht, weil man selbst nur wenig oder gar keine Ahnung von dem Fachgebiet hat. Um die Fachkenntnis eines Anderen jedoch richtig einschätzen zu können, muss man zumindest genauso gut sein, besser aber noch besser als derjenige. Logisch, oder? Ansonsten wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit das Opfer der eigenen Fehleinschätzung.

Das Problem, das sich aus der gesamten Fragestellung tatsächlich ergibt, ist, dass jemand, der den Expertenstatus nicht überprüfen kann, auch die Güte des gelieferten Arbeitsergebnisses nicht beurteilen kann! Ein unzureichendes Ergebnis ist bestenfalls rausgeworfenes Geld und verlorene Zeit, schlimmstenfalls führt es heute zu Shitstorms und gravierendem, dauerhaftem Kundenverlust.

 

Worauf basiert die Entscheidung?

Experten: Für wen soll man sich entscheiden?

In der Praxis beginnt jede Entscheidung zum Engagement von Fachspezialisten mit einer Recherche. Selten fällt die Entscheidung sogleich auf einen einzigen Anbieter, auch wenn dies natürlich vorkommt (bei uns glücklicherweise oft). Im Beratungsgeschäft gibt es eine riesige Variationsbreite von Wissensanbietern. In jedem Fachgebiet gibt es ein immenses Spektrum von unglaublich klugen und engagierten Leuten bis hin zu Dienstleistern, die sich maßlos überschätzen und sogar solchen, die wissentlich und ohne schlechtes Gewissen schiere Unkenntnis verkaufen. Wie will man die Spitzenkräfte von denen unterscheiden, von denen man für das Geld wenig Verwertbares bekommt oder die gar durch Fehlberatung richtiggehenden Schaden anrichten können? Wenn man die Kriterien nicht kennt und auch nicht selbst definieren kann, die für die reale Beurteilung der Expertise und die Fähigkeit zur praktischen Umsetzung im Projekt nötig sind – auf welche Informationen will man die Entscheidung stützen?

Dilemma, Dilemma.

Von alledem gibt es noch eine Steigerung davon. Womöglich haben Sie schon von dem Dunning-Kruger-Effekt gehört oder ihn sogar selbst erfahren. Im Grunde besagt er nichts anderes, als dass in einem Bereich inkompetente Menschen zumeist nicht wissen, was sie alles nicht wissen. Sie überschätzen ihr Können und übersehen vollkommen das Ausmaß ihrer persönlichen Inkompetenz. Da sie sich selbst für kompetent halten, sehen sie keine Veranlassung, ihr Wissen in diesem Bereich zu entwickeln und unterschätzen die Fähigkeiten von Anderen. Dieser Effekt wird umso größer, je kompetenter das Gegenüber ist. (Von Donald Trump sind inzwischen Viele überzeugt, dass er ein typischer Fall des Dunning-Kruger-Effekts ist, Artikel finden sich unter anderem bei Politico, Salon, New York Magazine, Bloomberg, Psychology Today.)

2007 ärgerte ich mich sehr über den ersten Fall, den ich mit einem Kunden erlebte. Es ist zehn Jahre her, doch seitdem beschäftigt mich die Frage noch immer, wie potenzielle Kunden erkennen können, wer etwas von der gefragten Materie versteht und wer sich… nun, sagen wir: wer sich selbst überschätzt.

 

Schlagen gute Selbstvermarkter die echten Experten?

Ich wurde von der Tourismusbehörde einer beliebten Europäischen Hauptstadt für einen Vortrag über die Besonderheiten von Frauen als Zielgruppe mit Schwerpunkt Tourismus engagiert. Ich sollte auch wohlwollende Worte für eine internationale Werbekampagne finden, die von einer renommierten Agentur kreiert worden war, um Besucherinnen in die Stadt einzuladen. Als ich die Werbemotive sah, wusste ich, dass ich ein kapitales Problem hatte. Wie sollte ich der Stadt zu der Kampagne gratulieren, wenn sie so stereotyp war und mit einem der Motive Frauen regelrecht vergraulen würde?

Am Tag des Vortrags erfuhr ich schließlich, dass die Verantwortlichen bei der Tourismusbehörde durch mein erstes Buch überhaupt erst zu dieser Werbeaktion inspiriert worden waren. Nach der Veranstaltung rief ich die Person an, die mich für den Vortrag engagiert hatte, denn der Fall beschäftigte mich sehr. Zu diesem Zeitpunkt war immerhin das auf Frauen bedrohlich wirkende Motiv auf mein Anraten zurückgezogen worden. Ich stellte die Gretchenfrage: Wieso wurde nicht ich für die Entwicklung der Kampagne zurate gezogen, wenn die Idee durch mein Buch überhaupt erst inspiriert worden war? Die Antwort war wirklich erhellend: „Wenn da ein gestandenes Mannsbild vor Ihnen steht [der ältere, eindrucksvolle Geschäftsführer der namhaften Agentur], und der sagt, dass er das kann, dann glaubt man das. Dass er das nicht kann, weiß man erst, wenn man eine Frau Jaffé kennenlernt.“

Ja, ich weiß, wie das damalige Kompliment jetzt wirkt. Aber es geht um einen anderen wichtigen Aspekt: Im vorliegenden Fall überzeugte bereits vor zehn Jahren jemand allein durch die Wirkung, die er erzeugte. Damals steckte Social Media noch in den Kinderschuhen. Heute sind viele Marktteilnehmer so geübt wie nie zuvor darin, sich gut zu präsentieren. Zunächst ist daran nichts Schlechtes. Doch eine exzellente Selbstvermarktung ist besser als alles andere dazu geeignet, den tatsächlichen Kenntnisstand zu verschleiern oder enorm aufzubauschen. Das Problem, einen wirklich guten Dienstleister zu finden, der sein Fachgebiet richtig beherrscht und die Kunden versteht, ist in den vergangenen zehn Jahren schier explodiert.

 

Also?

Ich habe (noch) keine Patentlösung für das Problem (oder „Patendlösung“, wie Paul Watzlawick einst formulierte). Im bereits oben genannten Beispiel wurde – wie in unzähligen anderen Fällen – das Arbeitsergebnis vom Auftraggeber abgenommen. Dass er mit seiner positiven Einschätzung falsch lag, zeigten ihm die vehementen Reaktionen der Menschen, die allgemein als „Markt“ bezeichnet werden.

Das sollte man sich bewusst machen:

  1. Nicht jeder, der sich als Experte bezeichnet oder der so aussieht, ist einer.
  2. Wenn man selbst kein Spezialist auf einem Fachgebiet ist, dann kann man die Fachkenntnisse eines Anbieters nur sehr eingeschränkt beurteilen.
  3. Gleiches gilt für das Arbeitsergebnis.
  4. In diesem Fall zeigt einem der Markt, ob man richtig geschätzt (oder geraten) hat.
  5. Im Zweifelsfall weiß man aber nicht, ob man eine mittelmäßige oder eine exzellente Lösung erhalten hat, denn selbst wenn man einen Zuwachs (Kunden, Umsatz, Marktanteile etc.) zu verzeichnen hat, weiß man nicht, ob man nur einen beliebigen Zuwachs oder einen strategisch sinnvollen Anteil des tatsächlichen Marktpotenzials realisiert hat.

 

Sonst noch was?

Mir persönlich ist es zu meiner großen Verblüffung tatsächlich schon ein paarmal passiert, dass mein Wissen von Unternehmen als zu groß angesehen wurde. Meine Gesprächspartner glaubten wirklich, dass meine in 16 Jahren Forschung und Entwicklung erworbene Fachkenntnis zu Gender Marketing einer Umsetzung in Form eines Marktkonzepts im Wege stünde. Ich habe inzwischen reichlich darüber nachgedacht, und die Antwort darauf formuliere ich in meinem nächsten Beitrag: Wieso Fachwissen nicht schädlich ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert